Ein Miniratgeber für Fachkräfte
„Dein Job ist ja ein Traum, du hast dein Hobby zum Beruf gemacht. Kommt es dir dann auch oft so vor, dass du eigentlich gar nicht arbeiten würdest? Ist ja so, als würdest du

Hand aufs Herz – wer hat solche oder ähnliche Sätze schon mal gehört, mitbekommen oder vielleicht auch genauso ausgesprochen? Die Botschaft dahinter kann bestimmt sehr facettenreich sein, aber eines fällt sofort auf: „Das Hobby zum Beruf gemacht!“
In den folgenden Punkten geht es um genau diese Ansichten und wie schnell eines davon auf der Strecke bleibt. Entweder der Beruf oder das Hobby und vor allem oft: wir selbst!
Damit wir weiterhin unseren Beruf – egal ob in der Reittherapie oder anderen sozialen und therapeutischen Tätigkeiten – erfolgreich ausführen können, ist es wichtig, den Fokus auf unsere Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge zu legen. Denn nur wer für sich selbst sorgen kann, hat langfristig die Kraft, Fürsorge an andere weiterzugeben.
1. Bewusstsein über deine Rolle
Unabhängig davon, in welchen Settings wir uns befinden – überall bedienen wir verschiedene Rollen. Und ich habe ganz bewusst „bedienen“ geschrieben. Zum einen gibt es die Rollen, die von uns erwartet wird (z. B. als Mutter, Tochter oder Kollegin) und zum anderen die, die wir selbst an uns stellen (z. B. als Führungskraft, Partnerin, Pferdebesitzerin oder Freundin).
Jede Rolle in unserem Leben bringt verschiedene Herausforderungen mit sich und wir sind stetig dazu angehalten, verschiedene Rollenbilder aufrechtzuerhalten, sie weiterzuentwickeln und uns innerhalb der dazugehörigen Systeme zu bewegen – ob wir wollen oder auch nicht. Jeder, der sich in Kommunikation befindet, erfüllt eine Rolle.
Umso wichtiger ist es, dass wir uns deutlich machen, wann wir welche Rolle bedienen und wie wir es schaffen uns auch in verschiedenen Rollen von Situationen zu distanzieren oder auch Nähe zuzulassen.
Ein Blick auf unseren Alltag zeigt schnell, wie sehr sich private und berufliche Bereiche oft überschneiden. Dies ist bis zu einem gewissen Grad normal und belebt auch unsere zukunftsorientierte Motivation.
Doch welche Rollen nehmen wir in welcher Situation in unserem Alltag ein? Vom Moment des Aufstehens bis zum Einschlafen erfüllen wir weit mehr als nur eine Handvoll Rollen – ob als Kollegin, Kundin an der Supermarktkasse oder Freund. Wie bereits erwähnt, prägen Kommunikationsmuster auch unsere Rollenbilder.
Die Besonderheit der Fachkraft in der Reittherapie definiert sich in der Rolle gegenüber dem Pferd. Beruflich bewegen wir uns in der Triade aus Pferd, Klient und Therapeutin. Privat ist es vielleicht unser eigenes Pferd. Beide Situationen erfordern unterschiedliche Rollen und Herangehensweisen.
Warum ist ein bewusster Umgang mit unseren Rollen so wichtig? Weil er uns hilft, unsere Energien gezielt einzusetzen. Wenn wir uns über unsere Rollen und deren Anforderungen klar sind, können wir Überforderung und das Gefühl des Ausgebranntseins besser vermeiden. So sorgen wir nicht nur für andere, sondern auch für uns selbst.
2. Definiere für dich Selbstfürsorge
Gibt man das Wort „Selbstfürsorge“ in eine beliebige Suchmaschine ein, so findet man sehr schnell unterschiedliche Definitionen. Von zu führenden Tagebüchern, Auszeiten aus dem Alltag bis hin zur allgemeinen Mindset- Arbeit – es ist alles dabei. Jeder von uns wird sich zu einer Theorie, einer Idee der Selbstfürsorge, hingezogen fühlen. Doch um wirklich erfolgreich für sich selbst zu sorgen, braucht es eine persönliche, auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Theorie und Praxis.
Dafür muss jede Einzelne für sich selbst überlegen, in welchen Lebensbereichen und Situationen mehr Selbstfürsorge notwendig ist. Nur so lässt sich erkennen, wo man sich stärker in den Vordergrund stellen oder besser abgrenzen sollte. Ein praktisches Beispiel kann helfen, diese Überlegungen zu konkretisieren.
Hierzu ein paar leitende Stichworte, die zum Anreiz des Nachdenkens gedacht sind, um geschehene Situationen hervorzurufen und daraus zu lernen:
Nähe – Distanz
Grenzen - Abgrenzen
Schutz – Sicherheit
Zuneigung – Abneigung
Fürsorge – Sorgen
Leitung – Begleitung
Führen – Folgen
Denke an Momente zurück, in denen du dir gewünscht hättest, dich stärker abzugrenzen oder anders zu handeln. Dieses Gefühl ist ein Hinweis auf dein Bedürfnis nach Selbstfürsorge.
Frage dich:
Was hat mir in dieser Situation gefehlt?
Was hätte ich gebraucht, um mich wohler zu fühlen?
Wie kann ich in zukünftigen Situationen anders handeln und die Motivation dafür aufbringen?
Indem du bewusst auf diese Fragen eingehst, legst du den Grundstein für eine individuell passende Selbstfürsorge, die dich langfristig stärkt.
Ein weiteres Beispiel:
Die Klientin wird nach der Stunde von ihrer Mutter abgeholt. Mit dabei ist die kleine Schwester, die unbedingt auch nochmal auf das Pferd möchte – „nur eben kurz drauf sitzen“. Es fallen Sätze wie: „Das Pferd steht doch eh gerade da, dann kann die Kleine ja auch nochmal eben rauf, oder?“ „Ach, die 5 Minuten hast du doch auch noch eben Zeit.“ „Geht ja auch ganz schnell.“
Jeder geht mit solch einer Situation anders um. Entscheidend dabei sind deine Gedanken und Bedürfnisse.
Hast du gleich einen Anschlusstermin und möchtest noch kurz Pause?
Hast du nun eigentlich Feierabend?
Kannst und möchtest du deinem Pferd noch zumuten, ein weiteres Kind zu tragen?
Vielleicht kommen dir solche Beispiele bekannt vor, die dich im Nachhinein noch beschäftigt haben. Genau hier zeigt sich, wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen und bewusst für dich selbst zu sorgen. Und wie eine Teilnehmerin es kürzlich so schön sagte:
„Nein ist ein ganzer Satz!“
Manchmal ist es jedoch nicht ganz so leicht, wirklich bewusst für sich zu sorgen und sich auch von einigen energiereichen Situationen zu distanzieren. Damit wir unsere Selbstfürsorge im Blick behalten, kann es hilfreich sein, dir Unterstützung zu holen – etwa durch regelmäßige Supervision oder Fallbesprechungen. Diese bieten wertvolle Gelegenheiten, Erfahrungen zu reflektieren und neue Wege zu finden, wie du für dich selbst sorgen kannst.

3. Erlaube dir Unterstützung
Im Alltag befinden wir uns oft in der Rolle der „Helfenden“, „Unterstützenden“ oder „Anleitenden“. Ob als Führungskraft, Büromitarbeiter oder ReittherapeutIn – in nahezu jedem beruflichen Kontext übernehmen wir Aufgaben, die von uns Verantwortung, Anleitung und Unterstützung anderer erfordern.
Es ist kein Zufall, dass du deinen Beruf gewählt hast. Besonders Menschen in sozialen Berufen fühlen sich oft regelrecht „berufen“, anderen zu helfen und sie zu unterstützen. Wir sind es gewohnt, die Führung zu übernehmen, den Überblick zu behalten und Entscheidungen zu treffen.
Beruflich gesehen benötigen wir diese Eigenschaften täglich. Doch auch wir erleben Situationen, in denen wir selbst Unterstützung brauchen – und genau diese Unterstützung dürfen und müssen wir uns erlauben.
Wenn du die Rollen in deinem Alltag noch einmal bewusst durchgehst, wirst du sicherlich Momente erkennen, in denen Unterstützung hilfreich wäre. Das bedeutet nicht immer, dass gleich ein neuer Kollege eingestellt werden muss.
Oft genügen kleine, aber effektive Maßnahmen, wie:
die Einführung einer regelmäßigen Supervision,
der Austausch mit KollegInnen, um Meinungen abzugleichen,
oder das Führen eines Reflexionsbuchs, um Gedanken und Erfahrungen festzuhalten.
Wichtig ist dabei, dass du die Art der Unterstützung selbst wählst und sie an deine Bedürfnisse anpasst. Nur so wird sie wirklich effektiv und nachhaltig. Erlaube dir, die Verantwortung nicht immer allein zu tragen – du verdienst Unterstützung genauso, wie du sie anderen gibst.
4. Hör auf dich mit anderen zu vergleichen
Ich denke wir sind uns einig, dass wir wissen, dass wir uns täglich miteinander vergleichen. Das ist auch ein Stück weit normal – daraus ziehen wir eigene Motivationen und Vorstellungen, die uns natürlich auch zu neuem Tatendrang ermutigen können.
Oft vergleichen wir uns jedoch mit unseren Mitmenschen und haben schnell das Gefühl: „Muss ich das auch können?“ „Warum ist die Person so engagiert? Mache ich zu wenig?“ „Bin ich gut genug?“ „Kann ich mir das zu trauen?“
Wir alle vergleichen uns – das ist menschlich und bis zu einem gewissen Grad auch normal. Daraus ziehen wir Inspiration und Motivation, um Neues zu wagen oder uns weiterzuentwickeln. Doch ebenso oft führt dieser Vergleich zu belastenden Gedanken:
„Muss ich das auch können?“
„Warum ist die Person so engagiert? Mache ich zu wenig?“
„Bin ich gut genug?“
„Kann ich mir das zutrauen?“
Kommt dir das bekannt vor?
Sicherlich fallen dir noch mehr Situationen und Argumentationen dazu ein. Und so komisch es jetzt klingt – je mehr, desto besser! Denn wenn du mal bewusst darüber nachdenkst, wie oft du dich mit deinen Mitmenschen vergleichst, dann wird dir auch auffallen, wie oft du dir gegenüber sehr selbstkritisch und manchmal zu hart bist.
Im Nachhinein betrachtet:
Was hat dir das gebracht?
Waren es nur negative Gedanken?
Gab es auch positive Gedanken für dein Selbstbild?
Fühle dich dazu eingeladen, da mal drüber nachzudenken.
Ein Beispiel, welches wir in unseren Kursen immer wieder erleben:
Wir befinden uns im zweiten Kursmodul der Ausbildung zum Reittherapeuten am Bildungsinstitut für Reittherapie. Die Teilnehmer sollen ein Video über ihr Arbeitspraxis, ihren Pferden und ihren Hof mitbringen. Für uns Dozenten ist es immer eine Bereicherung die bewegenden Bilder zu sehen und in die Welt der Teilnehmer mit eintauchen zu dürfen.
Für die Teilnehmer bedeutet dies oft Stress:
„Jetzt muss ich zeigen, wie ich arbeite oder wie meine Pferde leben.
Aber nicht wundern, bei mir ist noch nicht alles perfekt, so wie bei Anke – die hat ja ne Halle. Sowas habe ich nicht.
Das Video habe ich im Herbst aufgenommen. Da war das Paddock ganz matschig und der eine Haflinger hat auf dem Video noch einen Verband am Bein. Ihm geht’s aber gut. Das wollte ich eben dazusagen, bevor ihr euch wundert. Puh, ja, ich starte dann mal das Video.“
Dir fällt bestimmt auf, dass du diese oder ähnliche Situationen kennst. Und vieles davon ist ja auch menschlich – man möchte sich erklären – oft aus Angst, jemand könnte mir komische Fragen stellen oder mich bewertet. Und genau hier liegt der Kern des Problems: Die Furcht vor Bewertung.
In unseren sozialen Systemen bewerten wir täglich – positiv sowie negativ. Umso größer sind die Sorgen, selbst bewertet zu werden. Für uns soziale Wesen wären Ausgrenzung und Ablehnung ein Albtraum, den wir unbedingt vermeiden wollen. Aus diesen nachvollziehbaren Gründen greifen wir dann oft auf selbstschützende Aussagen zurück, wie die oben beschriebenen.
Im Endeffekt wirst du oft bemerken oder auch bestimmt schon beobachtet haben, dass dir der Vergleich mit deinen Mitmenschen nicht viel geholfen hat. Bei einigen Vergleichen gehen bestimmt auch positive Gedanken mit einher, die dich voranbringen und deinen Fortschritt unterstützen. Aber in vielen Fällen stellst du dich selbst in den Schatten, anstatt dein eigenes Licht strahlen zu lassen.
Reflektiere für dich:
Was bringt es dir, dich mit anderen zu messen?
Und wie kannst du deinen Fokus darauf richten, deinen eigenen Weg zu gehen – unabhängig davon, was andere tun oder denken?
Im Zusammenspiel mit den Techniken der Selbstfürsorge – wie Supervision, dem Führen eines Reflexionsbuchs oder anderen Methoden – kannst du dir bewusst vornehmen, Situationen zu beobachten, in denen du wirklich stolz auf dich bist.
Wann nimmst du dir Zeit, dich selbst zu feiern und dir innerlich auf die Schulter zu klopfen?
In welchen Bereichen hast du dich weiterentwickelt?
Was gelingt dir heute, das du dir vor ein paar Jahren noch nicht zugetraut hättest?
Solche täglichen Begleitfragen stärken dich und helfen dir dabei, dich selbst mehr in den Vordergrund zu stellen. Und vor allem: sie schaffen eine gesunde Distanz zu Vergleichen mit anderen. Jeder hat sein eigenes Tempo, individuelle Ziele und persönliche Herausforderungen. Erkenne deinen Fortschritt an und mache dir bewusst, dass du auf deinem ganz eigenen Weg bist – unabhängig davon, wie andere ihn gehen.
Besonders in der heutigen Zeit, geprägt von Social Media, ist es extrem schwer geworden, Vergleiche zu vermeiden. Das „perfekte Bild“ wird nicht nur von Influencern, sondern auch von KollegInnen und anderen Menschen unseres Umfelds vermittelt und aufrechterhalten. Die mediale Welt lässt uns oft an uns selbst zweifeln und lenkt uns in Richtungen, die wir vielleicht gar nicht einschlagen wollen.
Ich kenne das aus eigener Erfahrung:
„Soll ich das jetzt posten?“
„Die anderen teilen ständig etwas – ich müsste auch mal wieder etwas beitragen.“
„Wenn ich jetzt zwei Wochen lang täglich poste, erwarten das alle von mir, aber das schaffe ich zeitlich nicht!“
„Ich möchte meine Arbeit transparenter machen, aber das alles ist mir einfach zu viel.“
Diese Gedanken zeigen, wie sehr uns die Außenwelt beeinflusst und unter Druck setzen kann. Auch in diesem Bereich begegnen uns viele Vergleiche und Bewertungen. Doch es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass man nicht in jeder Hinsicht mithalten muss. Social Media sollte uns inspirieren, nicht stressen oder in einen ständigen Vergleichszwang treiben.
Zum Glück habe ich für mich schnell erkannt, dass mein Fokus auf meinem Beruf liegen sollte – auf der Qualität meiner praktischen Arbeit. Für mich bedeutet das: Zeit mit dem Pferd und den Menschen zu verbringen, anstatt permanent am Handy oder auf sozialen Plattformen aktiv zu sein.
Wenn ich Zeit und Lust habe, freue ich mich, etwas auf Instagram oder anderen sozialen Medien zu teilen. Doch dieser Druck, ständig präsent sein zu müssen, ist für mich raus. Ich habe für mich klar definiert, wo meine Prioritäten liegen und wofür ich meine Energie einsetzen möchte.
5. Vertraue deinem Bauchgefühl
Diesen Satz hast du bestimmt schon oft gehört – und wahrscheinlich auch selbst ausgesprochen. Vielleicht ist auch ein klitzekleines inneres Augenrollen dabei. Denn der Satz fällt ja ziemlich schnell – doch er trägt eine enorme Bedeutung in sich.
Wenn wir unserer Intuition folgen, dann folgen wir oft unserer Vorstellung unserer innehabenden Rollenbilder.
Wie bereits beschrieben, bringen diese Rollen verschiedene Erwartungen und Vorstellungen mit sich – und eben auch Intuitionen: Bauchgefühle. Du wirst bestimmt schon Situationen erlebt haben, in denen du im Nachhinein gesagt hast: „Ich hatte von Anfang an so ein komisches Bauchgefühl.“
Vielleicht hast du dich darüber geärgert, dass du nicht darauf gehört hast, oder du wurdest überrascht, weil dein Bauchgefühl sich einmal geirrt hat. Beides gehört dazu, und solche Erfahrungen machen wir alle immer wieder. Der große Vorteil, deiner Intuition zu vertrauen, liegt in der Authentizität, die sie dir verleiht – deiner persönlichen „Echtheit“.
Wenn du deinem Bauchgefühl folgst, handelst du aus Überzeugung.
Deine Entscheidungen sind klarer und greifbarer, weil sie aus deinem Inneren kommen. Alles andere wirkt oft unsicher oder halbherzig. Wenn du bewusst und achtsam in deine alltäglichen Situationen gehst, wirst du nicht nur authentischer handeln, sondern auch mehr Selbstfürsorge praktizieren.
Vielleicht klingt das für dich schon vertraut, oder es ist etwas, das gerade in dir nachhallt. Möglicherweise kannst schon sehr gut für dich sorgen.
Beides und alles ist möglich.
Aber eines möchte ich dir unbedingt mitgeben: Selbstfürsorge ist ein kontinuierlicher Prozess.
Manchmal brauchen wir sie mehr, manchmal weniger. Entscheidend ist, dass sie immer präsent bleibt, um uns in schwierigen Zeiten zu unterstützen. Denn nur wenn wir fähig sind, unser inneres Feuer immer wieder neu zu entzünden, können wir auch für unsere Berufung, unsere Mitmenschen und unser Leben brennen.
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